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Toposa und Turkana

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Toposa und Turkana leben zu beiden Seiten der Grenze zwischen Süd-Sudan und Kenia.

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© Martina Dempf

Die Luftaufnahme zeigt, dass das Land eher karg und aride ist. Nur dort, wo in der Regenzeit Wasser läuft, findet man einen eher spärlichen Bewuchs.

Bei den Toposa gibt es etwas mehr Wald.

Ursprünge, Ähnlichkeiten und Unterschiede

Toposa und Turkana sind Teil einer größeren Volksgruppe, die sich nie einen eigenen Namen gegeben hat und die heutzutage vor allem unter dem Namen Ateker bekannt ist. In einer großen Wanderbewe-gung sind vor etlichen Jahrhunderten ihre Vorfahren in den nordöstlichen Teil des heutigen Uganda eingewandert. Vor zwei bis drei Jahrhunderten spalteten sich Gruppen ab und zogen in neue Siedlungs-gebiete, aus denen die heutigen Toposa und Turkana wurden. Die beiden Ethnien sprechen die gleiche Sprache, mit dialektischen Unterschieden, sie haben ein ähnliches sozio-politisches System, sie heiraten über die Grenzen hinweg, und sie kooperieren und bekriegen sich abwechselnd. Klima und Landschaft der Turkana sind wesentlich rauer und karger als bei den Toposa. So können die Toposa eher systemati-schen Feldbau treiben als die Turkana, die höchstens kleine opportunistische Anbauflächen bestellen, und die Rinder haben die Turkana wegen der größeren Trockenheit weitgehend durch Kamele ersetzt. Bis zum Ende des letzten Jahrhunderts waren die Toposa, weitab von der Regierung in Khartoum, sich mehr oder weniger selbst überlassen, was sich allerdings seit der Unabhängigkeit des Süd-Sudan geändert hat, bisher aber mit wenig bemerkbaren Auswirkungen. Bei den Turkana hingegen hat sich seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts die moderne Welt mit Kirchen, Entwicklungs- und Nahrungsmittelhilfe und staatlichen Interventionen zunehmend festgesetzt, mit dem Ergebnis, dass unter anderem der urbane und quasi-urbane Sektor bei den Turkana wesentlich entwickelter ist. Während die Toposa fast noch zu 100% Pastoralisten, also Viehhalter sind, sind es bei den Turkana - genaue Zahlen gibt es nicht - etwa noch ein Drittel, während ein Drittel in stadtähnlichen Umgebungen existiert und ein Drittel irgendwie zwischen diesen beiden Welten. 

Klima und Wirtschaft

Trockenzeiten mit Normal-Temperaturen um die 40 Grad und kaum Regen, und dann Regenzeiten, in denen der insgesamt spärliche Regen in Sturzfluten hernieder rauscht und alles wegschwemmt - so präsentiert sich hier das Land. Im Turkana-Gebiet wurde neuerdings Öl gefunden, aber ansonsten gibt es keine Industrie und kein produzierendes Gewerbe. So ist die traditionelle Einkommensquelle der Men-schen hier hauptsächlich die Tierzucht: Rinder, Kamele, Ziegen und Schafe, und Esel für den Transport. Wo immer möglich - bei den Toposa eher als bei den Turkana - wird ein wenig Feldbau getrieben, vor allem mit Hirse. Das ist aber ein eher mühsames Unterfangen, denn die Regenfälle sind erratisch - werden in letzter Zeit immer erratischer - und so ist auch der Ertrag niedrig und vor allem unsicher. Es bleiben also die Tiere. Mit einem ausgeklügelten System von Weidewirtschaft schaffen es die Hirten meist, ihre Tiere und sich durch die Trockenzeiten zu bringen. Dann nämlich ziehen die jungen Männer mit den Herden in oft weit entfernte Weidegebiete, in denen es noch Wasser und Futter gibt. Die Familie mit älteren Leuten und Kindern bleibt derweil meist an ihrem angestammten Platz. Toposa und Turkana sind also keine Nomaden im gebräuchlichen Sinn, sondern sie praktizieren das, was man im Fachjargon transhumante Weidewirtschaft nennt - in Europa halten es die Almbauern in den Alpen auch heute noch ähnlich.

© Martina Dempf

Toposa

© Harald Müller- Dempf

Turkana

© Martina Dempf

© Harald Müller-Dempf

Toposa

© Martina Dempf

© Martina Dempf

Turkana

Arbeitsteilung

So ergibt sich fast automatisch eine Arbeitsteilung: Die jungen Männer sind für die Tiere verantwortlich, und da die Gegend unsicher ist und Tierraub zwischen benachbarten Ethnien an der Tagesordnung ist, sind sie auch Krieger. Ihre Waffen waren früher Speer und Schwert, heute sind es automatische Schnellfeuergewehre. Die Frauen sorgen für die Familie, und die alten Männer sitzen unter dem Versammlungsbaum, tauschen Informationen zu den besten und zugänglichen Weideplätzen, zur Sicherheitslage und so weiter aus und machen Politik.

Netzwerke

Toposa und Turkana sind vergleichsweise egalitäre Gesellschaften, ohne feste, vererbbare Macht-strukturen. Das bedeutet nicht die Abwesenheit von Macht und wirtschaftlicher Ungleichheit, aber es gibt starke Regelmechanismen. Ein reicher Mann kann zwar eine große Herde besitzen, aber Tierhaltung ist ein risikoreiches Geschäft. Entscheidungen im Weidemanagement haben weitreichende Folgen, und Trockenheiten sowie Tierseuchen können den reichen Mann sehr schnell zu einem armen Mann machen. Ein ausgeklügeltes Netzwerk mit Verwandten und Freunden und der Austausch von Tieren sind unab-dingbare Strategien. Und so sind die Toposa und Turkana ausgesprochene Netzwerkkünstler. Das bedeutet auch, dass ein Mann mit seinen Nächsten als potenziellen Mitgliedern im Netzwerk pfleglich umgeht. Dazu gehören auch das Verhältnis zu Frauen, die wir als stolz und selbstbewusst kennengelernt haben. Allerdings, wie oft auf dieser Welt, kümmern sich Frauen um Haus und Familie und überlassen die Politik den Männern. 

Tiere

Nachdem Tiere traditionellerweise das Lebenselixier der Toposa und Turkana sind, ist nicht verwunder- lich, dass sie auch ihr emotionaler und sozialer Fokus sind. Keine Heirat und keine Freundschaft ohne Übergabe von Tieren, kein Ritual ohne Tieropfer, kein Fest ohne rituelles Schlachten von Tieren. Wenn ein junger Hirte erwachsen wird, bekommt er von seinem Paten ein Tier, das er dann wie sein Alter Ego pflegt, auf das er Lieder komponiert und mit dem er vor den Mädchen paradiert. Ein Leben ohne Tiere ist nicht vorstellbar. Und so ist es nicht verwunderlich, dass auch Menschen in der Stadt, die eigentlich dem traditionellen Leben entwachsen sind, ihr verdientes Geld in Tieren anlegen, die dann ihre Verwandten auf dem Land hüten.  

Macht und sozio-politische Struktur

Ich erwähnte bereits, dass Macht nicht vererbbar ist. Aber wie in allen Gesellschaften gibt es auch hier eine soziale Struktur und zudem Macht, wenn auch vielleicht nur temporär. Toposa und Turkana haben eine genealogisch inspirierte soziale Ordnung von männlichen Generations- und Altersklassen - die Frauen passen sich in dieses System ein. Das Prinzip ist zunächst einfach: Die Großväter haben die rituelle Macht, die Väter regieren, die jungen Männer sind die Hirten und Krieger, und die Kinder warten darauf, dass sie mit der Initiation Teil des Systems werden. Das hört sich einfach an, ist aber in der Praxis durchaus kompliziert - ich habe darüber gearbeitet, siehe meine Papiere - und soll hier nicht weiter im Detail erörtert werden. Das Wichtige ist jedoch, dass die Macht der "Väter des Landes", wie sie manchmal genannt werden, nur temporär ist, denn in bestimmten Abständen wird die Macht verschoben, die Kinder werden Krieger, die Krieger werden Väter, und die Väter werden Großväter.

In einer Generationsklasse sind die Altersunterschiede beträchtlich, und so sind die Generationsklassen in Altersklassen von annähernd Gleichaltrigen aufgeteilt. Die Altersklassen bilden sich vor allem in den Rinderlagern, ihre Mitglieder haben ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und unternehmen Aktionen gemeinsam. Beeindruckend sind vor allem bei den Toposa die Generationsklassenfeste, bei denen entweder die Generation der Väter demonstriert, dass sie noch zahlreich, stark und kräftig sind, oder die der Söhne, die zeigen wollen, dass sie auch schon zahlreich, stark und kräftig sind und bald die Macht übernehmen wollen - der entsprechende Zeitpunkt ist nicht festgelegt und muss "ausdiskutiert" werden.

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© Martina Dempf

Toposa: Generationsklassenfest

© Martina Dempf

Toposa: Generationsklassenfest

Übersinnliches

Die Missionare, die seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts versuchen, den Toposa und Turkana ihre Weltsicht beizubringen, haben offensichtlich übersehen bzw. sie ignorieren, dass die Menschen hier ihr ureigenes spirituelles Weltbild entwickelt haben. Es gibt einen Hochgott Nyakuj bzw. Akuj bei den Turkana, der weniger ein personifizierter Gott ist, sondern eher die Idee einer Macht, die die treibende Kraft hinter allen Dingen ist. Der Ahnenkult ist recht ausgeprägt, und die Welt ist bevölkert von guten und bösen unsichtbaren Wesen. Vor allem den Ahnen muss man hin und wieder ein Opfer bringen, damit sie sich nicht vernachlässigt fühlen und Unglück bringen. Die Opfer sind jeweils Tiere, deren größeren Teil man verspeist, und da man ansonsten ungern Tiere zum Verzehr tötet, treffen sich hier das Spirituelle und das Praktische. Das Übersinnliche hat den Platz, der ihm gebührt, und insgesamt herrscht sowieso auf allen Gebieten eher Pragmatismus.

Materielle Kultur

Wenn die Umgebung eher karg ist, neigen Menschen dazu, sich zu schmücken und die Kargheit mit Farben zu maskieren. So auch die Toposa und Turkana. Das zeigt sich vor allem, wenn sie sich für Feste schmücken.

© Martina Dempf

Toposa

© Harald Müller-Dempf

Toposa

© Harald Müller-Dempf

Turkana

© Martina Dempf

Turkana

Vor allem Glasperlen spielen dabei eine große Rolle. Die Turkana-Frauen haben die Pracht auf die Spitze getrieben, und ihre hohen beeindruckenden Perlenkrägen sind so etwas wie das Markenzeichen der Turkana geworden, auch und gerade im modernen Kenia.

Stadtleben

Stadtleben gibt es eher bei den Turkana. Während Kapoeta, die Verwaltungshauptstadt und der einzige Ort, der annähernd als Stadt bezeichnet werden kann, immer noch eigentlich ein großes Dorf ist, hat sich Lodwar, die Hauptstadt der Turkana, zu einer veritablen Kleinstadt entwickelt, mit Asphaltstraßen, Ver-kehr, Banken, Supermärkten, Tankstellen und allem, was so zu einer kleinen Stadt dazu gehört. Details dazu gibt es in meinen Filmen.

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